Schladminger Tauern, 22.-28.06.2007

            Sa

Der erste Tag geht dem Ende zu. Nach anfänglichen Schwierigkeiten – der Zug fuhr aus Amsterdam kommend mit 15 Minuten Verspätung gegen Mitternacht in Köln ein – verbrachten wir eine recht gute Nacht im Liegewagen, die Gruppe noch unsichtbar, stiegen morgens problemlos in München in den Anschlusszug um und wurden dann angenehm durch grüne Landschaften geschaukelt, aus der allmählich höher werdende Hügel und Berge wuchsen.

Kurz vor 11 Uhr erreichten wir Schladming, wo Rainer uns bereits im Bergdress erwartete. Auch die bestellten Taxibusse warteten, um uns zur Ursprungsalm, sozusagen dem Ursprung (!) unserer Tour zu bringen. Bevor wir jedoch die Rucksäcke schultern konnten, durften wir noch die Highlights der letzten Rallye Paris – Dakar nacherleben, welche die Fahrer der Taxis überzeugend imitierten, indem sie auf den Serpentinen aufwärts nicht mit Reifengummi und Bremsbelägen geizten und versuchten, sich gegenseitig mit kühnen Fahrmanövern zu überbieten.

Als wir schließlich wohlbehalten auf der Ursprungsalm ankamen waren, staunten wir nicht schlecht, denn sie entpuppte sich als gut gefüllter Parkplatz mit Reisebusanschluss nebst Almhütten. Nieselregen und Würstlgeruch lagen in der Luft, das Volk drängelte, um für 12 Euro Eintritt die Ursprung-Buam aufspielen zu sehen.

Indem wir diesen Trubel hinter uns ließen, begannen wir unsere kurze Etappe zur Ignaz-Mattis-Hütte (1986 m). Zunächst breit, dann schmaler werdend führte der Weg leicht bergauf, schließlich am Giglachsee vorbei, gerade richtig zum Eingewöhnen, dabei kurz genug, um bei besserem Wetter vermutlich als Tagestouristen-Autobahn zu dienen.

Auf der Hütte, die wir nach ca. 1 ½ Std. erreichten, geht’s uns nun gut. Uns wurden ein eigenes Lager unter der Dachschräge und eine eigene Stube zugewiesen, wo die Jugendlichen unverzüglich mit der Kalorienzufuhr begannen, Jens E., indem er die schöne Tradition des Zuckerbrots wiederbelebte. Nur das Wetter sorgt für leichtes Unbehagen, denn noch ist nicht geklärt, wie es sich in den nächsten Tagen entwickeln wird: Regen, Schnee, Sonne? Mal sehen. Inzwischen ist es 19:45 Uhr, fühlt sich aber später an, weshalb ich, gesättigt von leckerem Rehgulasch, bald schlafen gehen werde.

            So

Nach etwa zehn Stunden Schlaf erwachte ich um 7 Uhr früh ziemlich erfrischt und mit nur vagen Erinnerungen an die Kühle der Nacht und die Unmöglichkeit, mich trotz meiner mangelnden Körperlänge bzw. dank der Dachschräge ganz auszustrecken. Das Frühstück mit dickscheibigen Massivbroten dagegen aktivierte Erinnerungen an kauintensive Frühstücke früherer Touren. Frühzeitig setzte eine nachhaltige Sättigung ein, was angesichts unserer (so scheint es) dauerhungrigen, heftig metabolisierenden Jungmänner schon überraschte.

Gestern nicht erwähnt sei an dieser Stelle nachgetragen, dass zu den Unentwegten (d.h. Roland, Armin & Sonja, Philipp Duven, Fabian) auch eine Reihe neuer Mitwanderer gestoßen ist: Jens E. und Jens Oe., Christoph, Georg & Franzi, Simon, Alexander und schließlich Stefan, wie ich lerne, ein weiterer Spross der verzweigten Jaax-Dynastie, deren Mitglieder schon bei früheren Touren dabei waren. A-ha! Diese neuen Gruppenmitglieder jedenfalls waren mehrheitlich stets bemüht, lebensmitteltechnisch das optimale Preis-Kalorienverhältnis zu ermitteln und zeigten sich im Verlauf der Tour zunehmend findig im Erschließen neuer Nahrungsquellen, z.B. indem sie Franzi den letzten Riegel abquasselten. Irgendwie musste schließlich der Spagat geschafft werden zwischen optimaler Energiezufuhr einerseits und geringem Rucksackgewicht andererseits.

So formiert zogen wir nach dem üblichen Gruppenbild, wegen der unsicheren Wetterprognose extra früh, um 8:20 Uhr los. Es wurde ein schöner Tag. Obwohl wir uns grob zwischen 1800 und 2300 Metern Höhe bewegten, gab sich die Landschaft beeindruckend alpin. Nach Jens’ Zuckerbrot vom Vortag sorgte kalter, böiger Wind vor allem beim steilen Anstieg zur Rotmannlscharte (2340 m) für die Peitsche, meterweise waren sogar kleine „Freizeitanlagen“ oder Schneefelder zu überwinden. Insgesamt aber blieb uns das Wetter hold, denn es regnete nicht, sondern klarte zunehmend auf, so dass wir uns angesichts der Hütte sogar noch in die Sonne legen konnten.

Die Gruppe lief gut und im Wesentlichen (Stefan?) gemeinsam, stets begleitet von vielstimmig geflöteten Marschmelodiefetzen. (Was ist bloß aus dem früheren „UiUiUi!“ geworden, der Deutschlandfahne von 2006?)

Nach ca. 4 ½ Std. waren wir jedenfalls so früh an der Keinprechthütte (1872 m), dass ein Teil der Gruppe im nahe gelegenen See baden, wir ausgiebig auf der Terrasse in der Sonne sitzen, lesen und quatschen konnten. Ich fühle, dass auf der heutigen Etappe der gesamte Schulstress durch meine Poren gepresst und ausgeschwitzt wurde. Zusätzlich habe ich endlich den Spruch „Deine Mudda!“ verstehen gelernt. Reisen bildet. Härrrlisch!

 

                        Mo

Dank des Starkwindes und der guten Beleuchtung unter unserem Dachfenster wachten wir nach einer weiteren, im Wesentlichen schnarchlosen Nacht früh auf, ich natürlich nie so früh wie Uli und Rainer! Beim Frühstück plauderten wir gemütlich mit der Hüttenwirtin, bevor wir nach dem Foto (auch vom A1-Standort, welchen ich als Handymuffel und Stadtmensch naiv als ironische Anspielung auf die Autobahn verstand...) kurz vor 9 Uhr aufbrachen.

Wieder wurde es sowohl vom Wetter als auch vom Weg her ein schöner Tag. Der Himmel war blau, die Sonne schien, aber der erste moderate Anstieg führte dankenswerter Weise zunächst im Schatten aufwärts, so dass der Schweiß nicht sofort in Strömen floss. Wir wanderten durch Almwiesen, in denen die ersten Wildblumen erblüht waren. Schließlich verlief der Weg mehr der weniger auf derselben Höhe und erlaubte Blicke auf die Keinprechthütte in der Tiefe und das imposante Dachsteinmassiv in der Ferne. Uli verschoss mehrere Filme, bevor wir nach einigen Kehren zunächst die Trockenbrotscharte (2237 m), dann den Pietrach (2396 m) erreichten und überschritten. Auf dem Weg zur Krautgartscharte arbeiteten wir uns entlang des teilweise von Gras überwucherten Kammes vorwärts. Dabei musste sich der eine oder andere Mitwanderer einigermaßen bemühen, um den aufrechten Gang beizubehalten oder kleine Kletterstellen zu überwinden, während sich rechts und links Tiefblicke öffneten, die an Blicke aus dem Flugzeugfenster erinnerten. Eine Gruppe auf der Weide stehender brauner Rinder sah von dort oben fast wie Pfifferlinge aus!

Immerhin: Mit Geduld und Spucke meisterten alle diese Wegstrecke mit Bravour, waren schließlich aber auch froh, wieder den „normalen“ Wanderweg unter den Stiefeln zu spüren. Simon und Alexander wunderten sich, dass wir sie überhaupt auf eine solche Tour mitgenommen hatten...Warum nicht!? Man wächst doch mit den Herausforderungen! Insgesamt stellte sowieso das Tagesziel, die ganz harmlos wirkende Landawierseehütte (1985 m) die größte Herausforderung der Tour dar, doch davon gleich mehr. Zunächst sei erwähnt, dass wir uns einig waren, die Etappe nicht auf die Besteigung des Scharnock auszudehnen, zu schön und auch körperlich herausfordernd war der bisherige Weg gewesen, zu unklar die weitere Entwicklung des Nachmittagswetters bzw. die Länge des dahin führenden Zustiegs. Deshalb stiegen wir nach einer Sonnenrast kurz oberhalb der Hütte schließlich gegen 15 Uhr zu ihr ab und enterten die Sonnenterrasse.

Eigentlich machte diese Hütte einen ebenso freundlichen Eindruck wie die vorherigen, doch dieser Eindruck wurde schnell relativiert, als es zwischen dem Jungwirt und Uli zu einem Tauziehen um eine nicht gebuchte Halbpension kam, dann zwei mysteriöse Knödelsuppen zur Streitfrage führten, wer sie bestellt habe und bezahlen werde. Schließlich wurden wir angehalten, ständig und sofort alles zu bezahlen, nachdem es serviert wurde, was sehr mühsam war. Nachdem der Jungwirt aber gegangen war und der Altwirt allein regierte, hellte sich die Stimmung glücklicherweise wieder etwas auf und es gab Riesenportionen Spaghetti zu steyrischer Blasmusik. Also wurde dem Sprichwort gemäß alles wieder gut. Es blieb nur offen, ob am folgenden Tag der vorhergesagte Wettersturz eintreffen würde oder vielleicht auch vorüberzöge?

 

                        Di

Tatsächlich erwachten wir zu Schnee und Regen, doch trotz beruhigender Tropfgeräusche hielt es Uli und Rainer nicht im Lager. Schnell fanden sie heraus, dass sich auch in der Hütte die Großwetterlage deutlich verändert hatte. Man kann nicht sagen, dass Vater und Sohn sonniger Stimmung waren, immerhin aber waren sie aufgeschlossener als tags zuvor und es gab gratis Extrabrot und –kaffee, die unbezahlten Suppen wurden nie wieder erwähnt. Hatte unsere Charmeoffensive also doch Früchte getragen?!

Wir verbrachten zunächst einige Zeit mit Kaffee trinken, Wolpertinger-und-Philipp-Portraitieren und spielten mit Karl, der Laufe (einer Fliege, die nicht fliegen konnte – Philipp, hattest Du anästhesiert?) Als wir aber feststellten, dass sich das Wetter kurzfristig nicht wesentlich ändern würde, wir aber auf jeden Fall über die Gollingscharte zurück auf die Schladminger Bergseite gelangen mussten, stiegen wir in warme und wetterabweisende Bekleidung und machten uns um kurz nach 9:30 Uhr auf den Weg.

Vor dem recht steilen Aufstieg zur Scharte mussten wir Höhenmeter abgeben, indem wir zunächst über die Fahrstraße zum Einstieg bergab liefen. Dann aber führte der Weg komfortabel aufwärts durch mit Schnee überzuckerte Wiesen, später etwas rutschiger über Gestein, ganz zum Schluss über ein Schneefeld. Glücklicherweise hatten wir Rückenwind, so dass es fast mit „Aufstiegshilfe“ vorwärts ging. Bald ließ auch der Niederschlag nach, was uns Rundumblicke auf die zart beschneite Bergwelt erlaubte, die zum Teil dramatisch-geheimnisvoll von Wolkenschleiern umschwebt wurde. Kurz gesagt entwickelte sich das Wetter viel besser als vorhergesagt und wir erlebten einen weiteren guten Tag.

Der Weg abwärts von der Scharte allerdings streckte sich ein wenig, obwohl wir immer nur 10 Minuten vom Ziel entfernt waren J. Steil ging’s über Blockgestein und Schotter in ein tief eingeschnittenes grünes Tal hinab. Wir trippelten, gingen und rutschten 700 lange Höhenmeter über schneebedecktes oder feuchtes Substrat, bevor wir den Talboden erreichten, der uns zur Hütte bringen sollte. Schließlich hatte die gesamte Etappe eine Stunde länger gedauert als bei besten Bedingungen und wir erreichten um ca. 13 Uhr die Gollinghütte (1641 m), die von der Alpinen Gesellschaft der Preintaler betrieben wird.

Bald nach der Ankunft wurden wir belehrt, dass das Wetter uns am folgenden Tag einholen, also viel schlechter würde, was unseren Weiterweg über den Klafferkessel unmöglich mache. Schon um 21 Uhr betrug die Außentemperatur nur noch winterliche 6 °C. Davon abgesehen aber wurden wir gut umsorgt mit Knoblauchsuppe (!) und einem warmen Kachelofen. Mal wieder blieb abzuwarten, was der folgende Tag wirklich bringen würde. Wir fassten uns in Optimismus und Geduld!

 

                        Mi

Leider hatten weder der Optimismus noch die Geduld viel gebracht. Nach einer trotz Knobisuppe störungsfreien, geräumigen Nacht begrüßten Uli morgens Wolkenschwaden, die durch das Fenster in die Stube schwebten. Der Wetterappell mit dem Hüttenwirt um 6.15 Uhr bestätigte lediglich, ausschlafen zu dürfen und den Tag im Wesentlichen auf der Hütte verbringen zu müssen. Es war über Nacht zwar nicht kälter geworden, doch die Wolken hingen tief, sozusagen bis ins Zimmer, und es regnete.

So erhoben wir uns erst gegen 8 Uhr zum Frühstück und dümpelten durch den Tag. Als es gegen 11.45 Uhr heller wurde, beschlossen wir, uns etwas die Füße zu vertreten und auf unbestimmtem Pfad zum Kühkar aufzusteigen... wo wir trotz Jens’ und Stefans ungestümem Vormarsch allerdings nie ankamen. Je weiter wir uns von der Hütte entfernten, desto heftiger schien es zu regnen, so dass wir bald umkehrten. Zurück an der Hütte hatte mir dieser Ausflug eigentlich nur erneut klatschnasse Stiefel und Socken eingebracht plus der Berührung eines der hiesigen Ferkel David oder Goliath und damit die Erkenntnis, dass auch rosa Schweinchen Muskelpakete sind und sich nicht schmuseweich anfühlen.

Während wir uns also mit Lesen, Kleidung trocknen und Brettspielen den Tag vertrieben, wurde das Wetter zusehends so viel besser, dass sich Philipp, Fabian und Christoph schließlich bemüßigt fühlten, sich im an der Hütte vorbeirauschenden Bach zu Wasser zu lassen. Wann haben wir je erlebt, dass eine in der Hütte gegebene Duschmöglichkeit (3,50 Euro) verschmäht wurde? Das Küchenteam aus Ossi und Nepali hielt die Jungs für verrückt!

Überhaupt ist die Besatzung der Hütte erwähnenswert: Während das erwähnte Küchenteam in jeder freien Minute beim gemeinschaftlichen Rauchen beobachtet werden konnte, erschien der Hüttenwirt nur ab und zu in der Stube, um mit uns chefarztgleich einige joviale Worte zu wechseln. Der junge Hüttenwirt wiederum erzählte uns, dass er eigentlich Psychologie studiert...

Indem sich unsere Noch-nicht-Studenten schließlich geistigen Getränken wie Enzianschnaps zuwandten, den wir aber glücklicherweise heimlich mit Wasser verdünnen konnten, verging schließlich auch der Abend, bevor wir recht früh das Lager aufsuchten, um uns vom intensiven Nichtstun zu erholen bzw. da wir am folgenden Tag schon um 6.45 Uhr aufstehen und uns gegen 7.50 Uhr auf den Weg machen wollten.

 

                        Do

Der letzte Tag der Tour zog trüb herauf, wurde aber zusehends sonniger. So tat es in der Seele weh, dass das Wetter des vorherigen Tags so viel schlechter gewesen war und wir deshalb unsere „Königsetappe“ an den Seen entlang nicht hatten gehen können.

Unser Weg führte uns nun hinab in die Zivilisation. Schon wenige Höhenmeter unterhalb der Hütte stießen wir auf einen Fahrweg, den wir an üppigen Wildblumen vorbei, manchmal T-Rex-mäßig Teenie-Rinder jagend, abwärts liefen. Kurz bevor wir zu dem großen Parkplatz kamen, wo wir in den Bus nach Schladming steigen wollten, bogen wir ein letztes Mal bergauf in den Riesachfall-Rundweg ein, um zumindest den Schluss der ursprünglich geplanten Etappe zu erleben. Von den Preintalern angelegt führt ein aufwändig in Stufen gebauter Steig steil aufwärts zu der die Riesachfälle überspannenden Stahlseilbrücke. Die Kühnheit ihrer Konstruktion und der Tiefblick durch die den Boden der Brücke bildenden Gitterroste riss unsere Gruppe zum Springen und Schaukeln hin, während tief unterhalb die Riesach ungerührt durch ihre tief eingeschnittene Schlucht tobte...Schließlich kam unsere Tour aber doch auf dem Parkplatz zum Abschluss, wo Uli unverhofft erneut Taxibusse anheuern konnte, die uns zügig durch die umliegende Postkartenlandschaft nach Schladming brachten.

Dort angekommen verabschiedeten wir uns von Rainer, der ohne Verzögerung ins Virgental aufbrach. Ein Teil der Gruppe setzte sich am Bahnhof in die Sonne, während Uli, Roland und ich in das touristische Stadtzentrum wanderten, wo wir nun ein zweites Frühstück genießen. In knapp einer halben Stunde werden wir in den Zug steigen und die Heimfahrt antreten...Schön war’s wieder...Und - nächstes Jahr geht’s in die Dolomiten??!